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Hütten mit veganen Gerichten

In den Städten schlürfen nicht nur Veganer ihren Cappuccino mit aufgeschäumter Hafermilch – und können zwischen pinker Himbeer-Banane oder süß-saurer Poke Bowl wählen. Doch wie geht es einem in den Bergen, wenn man bei der Ernährung auf tierische Produkte verzichtet? Mit ihrem Freund, der zwar auf die Herkunft von Fleisch achtet, dem Genuss davon aber noch lange nicht abgeschworen hat – weil „Schmeckt scho guat, Spotzl“ –, hat sich unsere vegane Autorin auf eine fünftägige Hüttentour im Gschnitztal begeben.

Um ihren Gästen den perfekten Salat zu kredenzen, braucht die Wirtin noch Wildkräuter. Ingrid Schlögl hat dafür keinen eigenen Kräutergarten angelegt, Heilpflanzen wachsen hier überall. Ingrid bückt sich, schaut skeptisch, dann lächelt sie. „Schafgarbe, die brauch ma. Die hat Magnesium.“ Dazu wilder Schnittlauch und Frauenmantel. Arnika ist auch da, die hat sie auch in Flaschen angesetzt. Dann geht’s in die Küche.

Ingrid betreibt die Trunahütte auf 1.750 Metern, etwa vier Stunden Fußmarsch vom Steinacher Bahnhof. An diesem heißen Sommertag war viel los und Ingrid alleine im Einsatz, da sich ihr Neffe David den Knöchel verstaucht hatte. Jetzt, da die Sonne allmählich an Kraft verliert und ein leichtes Lüfterl weht, kann sie durchatmen. Bis noch eine Veganerin daherkommt, die ihre köstlichen Knödel verschmäht.
Bei der Hitze hat Ingrid aber Verständnis. Ihr Vorschlag: Salat mit geriebenen Äpfeln, Wildkräutern und selbst gebackenem Brot. Mir schmeckt’s super, aber Mick, mein Freund und selbsternannter Feinschmecker, hat nur Augen für Kaspressknödel und Kaiserschmarrn. Zubereitet mit ordentlich Butter kocht sich Ingrid in sein Herz. „Jojo, für meine Knödel bin i herobn bekannt.“ Beliebter seien sie als Fleisch.

In den folgenden Tagen gibt es oft erstaunte Reaktionen. Weit verbreitet ist der Glaube, dass bei einer Wandertour Würstel und Knödel Kraft geben. Ich probier’s mal ohne. Gemeinsam mit meinem Freund Mick, der sein veganes Spotzl selbst nicht ganz versteht und zu einem Schnitzel nie nein sagen würde, wandere ich fünf Tage auf der Gschnitztaler Hüttentour. Es geht etwa 5.650 Höhenmeter aufwärts und abwärts, jeder Abschnitt birgt neue Herausforderungen. Ohne tierische Produkte, dafür mit zahlreichen veganen Snacks im eh schon schweren Rucksack geht’s los. Vorbereitung ist alles, denn es gibt nichts Schlimmeres, als einen leeren Magen auf halber Strecke. Obwohl ich die Hütten im Vorfeld bezüglich veganer Vorlieben abtelefoniert habe, will ich auf Nummer sicher gehen.

 Proviant zur Stärkung ist nicht nur für Veganer ein Muss bei jeder längeren Wanderung.

Veganer Kaiserschmarrn auf der Tribulaunhütte

Am nächsten Morgen warten bereits Kaffee, Ingrids selbstgemachte Quittenmarmelade, Gemüse und Brot auf uns. Als Proviant packen wir uns etwas davon ein. Danach starten wir über das Trunajoch zur Gschnitzer Tribulaunhütte. Während es die erste Zeit gemütlich dahin geht, schauen wir etwa zweieinhalb Stunden später einen steilen Abgrund hinunter. Die Hüttentour wurde aus guten Gründen mit der Farbe Schwarz gekennzeichnet, hier kommt die erste anspruchsvolle Passage. Das schreit nach einer Jausenpause, nach dem zuckerreichen Frühstück fehlt es an Proteinen. Für mich gibt es Sojawürstel, Brot, getrocknete Bananen und einen Apfel.

Schnell erreichen wir das Gstreinjöchl, wo schon die zwischen den Felsen eingebettete Tribulaunhütte zu sehen ist. Die Nähe ist trügerisch und die Serpentinen ziehen sich. Angekommen, kreisen meine Gedanken gleich ums Essen. Hüttenwirtin Verena Salchner ist auch schon vorbereitet: Mit Bratkartoffeln und Salat.

In der Küche ist die ganze Familie am Werkeln. Der ehemalige Hüttenwirt Seppl, der 2012 den Posten an seine Tochter abtrat, steht am Herd und scheibt die Kartoffeln in die Pfanne, zu Zwiebeln, Olivenöl, Salz, Pfeffer und Majoran. Veganer kommen selten auf die Tribulaunhütte, aufgrund der logistischen Herausforderungen auf einer Berghütte könne nicht immer Rücksicht auf alle Essenswünsche genommen werden, erzählt Verena. Dafür mangelt es nicht an Einfallsreichtum: „Letztens war eine Gruppe Schweden da, die wollten unbedingt einen veganen Kaiserschmarren probieren.“ Ich werde hellhörig. Damit hatte ich auf 2.064 Metern keineswegs gerechnet. Ganz einfach entsteht aus Mehl, Mineralwasser und Zucker eine vegane Variante. Sie ist vielleicht etwas blass, kann aber geschmacklich mit dem Original mithalten.

 Falls die Speisekarte auf einer Hütte mal keine Gerichte für Veganer beeinhaltet, sind die Hüttenwirte meist sehr zuvorkommend und kredenzen spontan Speisen ganz ohne tierische Produkte für ihre Gäste.

Zum Frühstück gibt’s wieder Brot mit Marmelade und … warte! „Darfst du Brot überhaupt essen?“, fragt mich die Wirtin. Daran hatte ich noch nicht gedacht. Klassisches Sauerteigbrot wird mit pflanzlichen Zutaten gebacken, bei Brioche oder Toast kommen häufig Butter und Milch dazu. Bauernbrot mit Kruste ist für Veganer also easy. Vor lauter Zucker sprinte ich fast schon Richtung Sandesjöchl. Der Weg ist sehr steinig, doch die Aussicht unglaublich. Wir gelangen ans sumpfige Gebiet am Kuhberg, wo wir auf einem Fels gut rasten können. Nach wenigen Snacks geht es eilig weiter. Wir haben aber Pech und laufen eine Stunde durchs Gewitter inklusive Hagel. Gott sei Dank gibt es auf der Bremer Hütte neben einer heißen Dusche auch einen Trockenraum. Außerdem komme ich mit einem Menü voll auf meine Kosten.

Drei-Gänge-Menü auf der Bremer Hütte

Der kroatische Küchenchef Zelko Toth hat die vegane Küche im Griff. Die Kürbis-Kokos-Cremesuppe ist bereits fertig, das Gemüse, gewürzt mit Salz, Pfeffer, Rosmarin und Currypulver, wird später zum Rösti gereicht und brutzelt schon in der Pfanne. Zelko erhöht die Temperatur und eine Flamme lodert kurz auf. Kleiner Show-Act auf 2.413 Metern Höhe. Katharina, seine Freundin und zweite Köchin, präsentiert einen veganen Schoko-Zucchini-Kuchen, bei dem jeder vegane, glutenfreie Hipster-Traum wahr wird. Ich profitiere sehr davon, dass hier öfter vegane Gäste vorbeikommen.

 Ein Rösti mit Gemüse ist eine leckere Stärkung nach einem anstrengenden Wandertag.

In der Stubn der Bremer Hütte wird gut geschnapselt, ausschweifende Rettungsgeschichten zum Besten gegeben, und die „Veganische“, wie Hüttenwirt Christian Höllrigl durch die Hütte ruft, gilt als Extrawürschtl. Mick gönnt sich hingegen ein Wiener Schnitzel. Ist nicht eigentlich er der Exot?

Ursprünglich spielte in den kargeren Regionen Tirols Fleisch im Vergleich zu Getreide- und Milchprodukten bei der Ernährung keine große Rolle. Ein Tiroler Bauer schlachtete im Jahr für gewöhnlich ein Schwein und ein, zwei Schafe. Kälber und Kühe nur zur Not. Ein Tiroler Keller sah dank der Nähe zu Italien laut einem Landreim von Georg Rösch von 1588 wie folgt aus: Erbsen, Spargel, Artischocken aus dem Süden, Zitronen, Orangen, Nüsse, Äpfel, Käse, Fische, Rauchfleisch. Zum Frühstück gab es häufig einen „Koch“, dem Tiroler Vorreiter des Porridge.

Am Morgen meint es das Wetter wieder gut mit uns. Wirtin Stefanie Höllrigl rät uns aber davon ab, über den Lauterer See zur Innsbrucker Hütte aufzubrechen. Die Steine seien zu rutschig und ich zu unerfahren.

Süßigkeiten auf der Innsbrucker Hütte

Wir steigen ein Stück Richtung Simmingsee ab und dann wieder auf. Entlang am Stubaier Höhenweg passieren wir einige seilversicherte Passagen und Leitern. Wir kommen gut voran, was uns eine kurze Pause erlaubt. Ein veganer Energieriegel mit fast 300 Kalorien füllt meine leeren Speicher wieder auf. In der vorderen Rucksacktasche habe ich immer einen Riegel, der mich schnell mit Nährstoffen versorgt, griffbereit. Datteln und getrocknete Bananen sorgen mit ordentlich Zucker nicht nur für viel Energie, sondern halten auch überraschend lange satt. Den Proteinbedarf decke ich mit einem Protein-Nuss-Mix sowie Sojawürsteln.

 Der Proviant darf auf einer Bergtour nicht fehlen!

Gegen Nachmittag kommen wir auf der Innsbrucker Hütte auf 2.369 Metern Höhe an. Wir ergattern ein gemütliches Fensterplatzerl im Kaminzimmer. Junge Kellnerinnen im Dirndl flitzen vorbei, sie haben den Laden im Griff. Gemeinsam mit Kellnerin Sophia stelle ich ein veganes Menü zusammen. Gemüsebrühe mit Backerbsen? Und wie wär’s mit einer mit Reis gefüllten Paprika? Ich entscheide mich dann doch klassisch für Kartoffeln und Salat.

Auf der Innsbrucker Hütte sieht man Veganer eher selten. Auch bei den Wanderern, mit denen ich mich unterhalte, ist höchstens mal eine Vegetarierin dabei. Doch Sophia erzählt uns, dass bei ihnen erst kürzlich eine Zehnergruppe Veganer mit Spaghetti mit Tomatensauce verköstigt wurde. Es gibt also immer eine Lösung, geliefert mit der Materialseilbahn aus dem Tal. Allerdings schaut es heute für mich in Sachen Nachspeise eher schlecht aus. Dafür schnabuliert Mick seinen dritten Kaiserschmarrn in Folge. Ich löffle ihm das Apfelmus weg. Sophia hat bestimmt noch mehr für mich: Mannerschnitten sind an dem Abend meine Rettung.

Statt dem üblichen Frühstücksbrot hat Sophia morgens etwas ganz anderes in petto. Aufgegossen mit heißem Wasser werden Haferflocken und Zartbitterschokostückchen zum süßen Porridge. Einen kleingeschnittenen Apfel unterrühren – fertig ist das Powerfrühstück. Da hätte ich eigentlich früher draufkommen können. So viel Energie hatten wir lange nicht.

Die Renaissance der Erbsensuppe im Padasterjochhaus

Wir starten unsere letzte Etappe, die auch unsere anspruchsvollste sein wird. Die ersten 600 Höhenmeter geht es noch bergab ins Pinnistal. Die Luft ist angenehm kühl und wir gehen zügig dahin. Doch dann führt uns ein Schild vom Weg ab, steil bergauf über den Jubiläumssteig zum Silbersattel unterhalb der Kirchdachspitze. Es ist steinig, sandig, dann felsig. Serpentinen und seilversicherte Passagen wechseln sich ab. Den Gipfel können wir nicht sehen, dafür ist es zu neblig. So kann mir beim Hinunterschauen wenigstens nicht schwindelig werden. Etwa 1.200 Höhenmeter und zwei Stunden später erreichen wir den Silbersattel. Was für eine Erleichterung, was für ein Hunger!

Schnell gibt’s mein letztes Sojawürstel und ein Stück Brot. Schade, ohne Nebel wäre die Aussicht bestimmt überragend. Über das Padasterjoch geht’s zurück ins Gschnitztal, wo wir auf 2.232 Höhenmetern im Padasterjochhaus einkehren. Ein historisches Ambiente von 1907. Städte finanzierten das Haus mit, die dem Wiener-, Steirer- und Münchner-Zimmer ihre Namen geben. Wirtin Agi Pranger zeigt mir jedes davon, ihr Herz hängt an diesem Haus.

Wirt Paul mustert mich. Ich hab’s über den Sattel geschafft? Respekt. Viele würden im Pinnistal kehrt machen. Mit dem Auto muss er noch weiter den Privatweg runter ins Tal. „Auf eigene Gefahr, um dein veganes Essen zu holen“, zwinkert er mir zu. Agi zaubert daraus eine traditionelle Erbsensuppe. Vor wenigen Jahren wäre das älteste Hüttenessen beinahe von der Karte verschwunden. Bestehend aus Erbsen, Brühe und Gemüse, ist die Erbsensuppe eine nahrhafte Mahlzeit. Vegetarier und Veganer haben für eine wahre Renaissance der Suppe gesorgt.

Danach gibt es Polenta mit Gemüse und einen Obstsalat. Für Mick, wie sollte es anders sein, Knödel und Kaiserschmarrn. In kleiner Runde kommen wir schnell ins Gespräch. Christian aus Augsburg bestellt sich – von mir inspiriert –kurzerhand auch Polenta mit Gemüse und schickt seiner Tochter stolz ein Foto.

 Am Gschnitzbach entlang geht es ins Tal hinab.

Der nächste Tag ist super sonnig. Sollen wir uns doch nochmal auf den Gipfel wagen? Meine Füße machen das heute nicht mehr mit, wir steigen ab. Der Weg führt uns am Gschnitzbach entlang zum Steinacher Bahnhof, zweieinhalb Stunden später sind wir wieder in der Welt der Poke Bowls – zurück in der Stadt.

Ich vermisse es vom ersten Moment an, in den Bergen aufzuwachen und gleich los zu marschieren. Erst jetzt merke ich den Muskelkater in allen Körperregionen. Waren halt doch insgesamt 56 Kilometer. Die Waage zeigt ein paar Kilo weniger an. Ganz konnte ich meinen Kalorienbedarf wohl nicht decken, satt wurde ich trotzdem. Dafür gönne ich mir wieder Porridge und Hafer-Cappuccino – fast wie im Gschnitztal.

 

 

This article is originally published by tirol.at

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